Der Bankencrash zählt nicht zu den Betriebsunfällen im Finanzgeschäft. Der Bankencrash ist Teil des Geschäftsmodells der Banken.
„Lernen Sie Geschichte!“, riet der frühere Bundeskanzler Bruno Kreisky kotzbrockig einem etwas vorlauten Journalisten. Aber auch das eine gute Geschichte, kommen doch heutzutage die Empfehlungen nicht aus den Reihen der Politik, sondern aus den Kanonenrohren allzumächtiger Medientalibans.
Geschichte lernen hilft tatsächlich. Auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt, so wiederholen sich die Geschichten der Menschen, die in ihrer Vielfalt und im Zusammenspiel eine richtige Geschichte ergeben. Zum Beispiel die Geschichte der Bankenzusammenbrüche.
Als Quelle für nachfolgende Darstellung diente das Buch „Als die Banken fielen, Zur Soziologie der politischen Korruption“ das 1968 vom Volkswirtschafter Karl Ausch im Europa-Verlag veröffentlicht wurde.
Wir drehen am Rad der Zeit und schreiben Österreich Anfang der 1920-er Jahre. Nachkriegszeit. Die Wirtschaftslage ist düster. Die christlich-sozial (Vorläufer-Partei der ÖVP) geführte Regierung öffnet mit ihrer liberalen Politik den Währungspekulant_innen Tür und Tor. Mit katastrophalen Folgen.
Der Wert der damaligen Währung, der Krone, betrug 1920, nach dem Austritt der SDAP, der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, gegenüber dem Schweizer Franken nur noch ein Hunderstel des Vorkriegswertes. Die Unfähigkeit der Christlich-Sozialen, die mit den fanatisch antisemitischen Großdeutschen eine Koalition bildeten, brachte es zu Wege, den Wert der Krone in eineinhalb Jahren auf ein Sechzehntausendstel zu schrumpfen. Im gleichen Zeitraum stiegen die Lebenshaltungskosten dramatisch auf mehr als das Vierfache an.
Als die Sozialist_innen noch der Regierung angehörten, forderten sie die Einhebung einer Vermögensabgabe, deren Erlös das Defizit im Staatshaushalt decken sollte. Alexander Spitzmüller, ein früherer liberalkonservativer Bankdirektor der Creditanstalt, in den folgenden Jahren sollte er noch in die Position des Finanzministers aufsteigen, drängte nach eigenen Angaben „unentwegt auf die Schaffung einer einmaligen Vermögensabgabe“. Karl Ausch schreibt dazu: „Die katastrophale Lage der Staatsfinanzen hätte es eben erfordert, das Geld dort zu holen, wo es vorhanden war.“ Die Christlich-Sozialen sahen das, und wie man sieht heute noch, anders.
Die Koalition zerbrach. Die Zerstörung der Ersten Republik und ihrer demokratischen Verfassung konnte beginnen.
Der Sozialist Otto Bauer beschreibt den damaligen Zustand der Republik wie folgt: „Der vollständige Zusammenbruch der Volkswirtschaft schien unmittelbar bevorzustehen. Die Gärung in den Arbeitermassen kündigte an, dass der wirtschaftliche Zusammenbruch die schwersten sozialen Erschütterungen auslösen werde.“
Die sozialen Erschütterungen sollten noch folgen, wie wir heute wissen. Davor sollten noch einige Einträge in die Geschichte der Wirtschaftskriminalität geschrieben werden.
Wien wurde nach dem von der Habsburg-Monarchie losgetretenen Weltkrieg sozialistisch regiert. Die damaligen Sozialist_innen, als Austromarxist_innen sollten sie und die von ihnen dominierte Zeit, das Rote Wien, in die Historie eingehen, verfolgten andere Ziele. Wien sollte das moderne Gegenstück zu einer provinziellen Bundesregierung sein. Mit der Möglichkeit eigene Steuern einheben zu können, wurde nicht nur in Gesundheit, Soziales und Bildung investiert, sondern auch ein ehrgeiziges Wohnbauprojekt gestartet. Ein rigider Mieter_innenschutz vernichtete den Wert von Miethäusern und dämmte die Grund- und Bodenspekulation erfolgreich ein. Die sogenannten Breitner-Steuern, die auf alles Luxuriöse eingehoben wurden, führte dazu, dass der kommunale Haushalt innerhalb weniger Jahre Überschüsse aufwies. Das änderte sich erst, als Ende der 1920-er Jahre die Christlich-Sozialen Wien in einen fiskalischen Würgegriff nahmen. Der damalige Innenminister Graf Starhemberg, Führer der den Christlich-Sozialen politisch nahe stehenden paramilitärischen Heimwehr, sprach 1930 am Heldenplatz, dass nur wenn der Kopf dieses Asiaten in den Sand rollt, der Sieg ihrer sein werde.
Wien war aber nicht nur das Zentrum einer radikalisierten Arbeiter_innschaft, sondern auch Metropole des internationalen Spekulantentums. Banken, Versicherungen und Handelshäuser hatten an der Donau ihre Headquarters. 1921 waren an der Wiener Börse nicht weniger als 360 Banken zum Devisenhandel zugelassen, die mit ihren durch die Politik der Christlich-Sozialen begünstigten Spekulationen einen ruinösen Kampf gegen die Volkswirtschaft führten. Tatkräftige Unterstützung fanden sie in der Presse, die ihre Leser_innen mit übertriebenen oder rein erfundenen „Zweckmeldungen“ in einen wahren Spekulationstaumel trieben. Die Banken finanzierten diese Spekulationsblase mit freizügigen Kreditvergaben. Oft aber wurden lediglich kleine Anzahlungen verlangt. Karl Ausch nennt sie „die kleinen Fische“, die doch nur mitschwammen und weiter: „So bedeutend ihnen die Börsengewinne auch dünkten, die großen Raubzüge spielten sich auf anderen Ebenen ab, die großen Vermögen jener Zeit wurden mit anderen Methoden geschaffen.“
Die hinter den Raubzügen stehende Methodik, war so einfach wie unverfroren, so destruktiv wie wirkungsvoll: Reale Unternehmungen warfen bis zur Hälfte unter ihrem Börsenkurs junge Aktien auf den Markt, die von den Spekulant_innen (Emissionsyndikaten, Banken, Finanzgruppen und -magnaten, Verwaltungsrät_innen, Bankdirektor_innen und ihre Freund_innen, gefällige Journalist_innen, Politiker_innen, hohe Beamt_innen [Ausch]), erworben und kurze Zeit später mit großem Gewinn auf den Markt geworfen wurden. Den alten Aktionär_innen wurden ihre Bezugsrechte genommen – ein erbitterter Kampf Neu- gegen Altreiche war die Folge.
Auch das größte Industrieunternehmen der 1. Republik, die Alpine Montangesellschaft, blieb, wie Ausch ausführt, von der Spekulation nicht verschont. Im Frühjahr 1923 verkaufte der Finanzminister Schumpeter ein großes Aktienpaket an zwei italienische Finanzgruppen unter Führung Camillo Castiglionis. Dann erwarb der deutsche Nachkriegsgewinnler Hugo Stinnes einen Teil der Aktien, gab diese aber wieder ab, bis schließlich eine Finanzgruppe, bestehend aus der Niederösterreichischen Eskompte-Gesellschaft, eine der damaligen Wiener Großbanken) und Castiglioni die Herrschaft über die Alpine antraten. Unter ihrer Führung kam es im Frühjahr wieder einmal zu einer ausgiebigen Kapitalerhöhung, einer Verdoppelung des Aktienkapitals, zu welchem Zweck 1,5 Millionen Aktien zu einem Emissionskurs von 250.000 Kronen pro Aktie ausgegeben wurden. Das Syndikat übernahm die Hälfte der Emission. Der Börsenkurs bewegte sich vor der Emission wochenlang über 600.000, sank nur vorübergehend in der Emisssionswoche auf 538.000 Kronen, erholte sich aber dann sofort, um im Juli und August 1923 auf rund 800.000 Kronen zu steigen. Fest steht, dass der Emissionskurs nur 40 Prozent des Börsenkurses betrug und dass sich der buchmäßige Agiogewinn des Syndikats Eskompte-Gesellschaft-Castiglioni bei dieser einzigen Transaktion zwischen 250 und 350 Milliarden Kronen bewegte, was auch in heutigen Schilling umgerechnet ein schöner Betrag war, nämlich 500 bis 700 Millionen (Ausch 1968). In seiner Ausführung zieht Ausch einen Vergleich: „Im Budget waren für die Arbeitslosenunterstützung während des ganzen Jahres 118 Milliarden vorgesehen, welchen Betrag zu erhöhen sich der Finanzminister außerstande erklärte.“
Der Obmann des Bankenausschusses im Nationalrat, der Sozialist Ellenbogen schätzte, dass 1923 mehr als 270 Neuemissionen und Kapitalerhöhungen durchgeführt wurden und der dabei erzielte Gewinn der Syndikate 5.000 Milliarden Kronen betrug. Die Spekulationsgewinne wurden nicht selten an der Steuer vorbei ins Ausland verschoben.
Wie skrupellos und dabei völlig gesetzeskonform Banken agierten, zeigt auch der zwei Jahre zuvor Umbau zweier großer Bankinstitute. 1921 verlegten die Anglo-Österreichische Bank und die Länderbank ihre Zentralen nach Paris und nach London. Ermöglicht wurde diese Verlegung und der Eigentümer_innenwechsel durch ein Gesetz, das überdies für dieses Vorhaben noch erhebliche Steuernachlässe gewährte. Die Anglobank gab an insolvent zu sein, beide Institute behaupteten, andernfalls in Konkurs gehen zu müssen. 1924 stellte sich heraus, dass in der Umwandlungsbilanz der Anglobank eine stille Reserve von 125 Milliarden Kronen ausgewiesen wurde.
Was hier einleitend beschrieben wurde, sind die Voraussetzungen, die den großen Fall der Banken ermöglichten und begünstigten. Das Schaffen von (tatsächlichen, falschen oder gefälschten) alternativlosen Sachzwängen, hemmungslose Profitgier, das Verschwinden von Unrechtsbewusstsein und Verantwortung sowie eine willfährige Politiker_innenklasse, die sich in der Rolle der Handlanger_innen und Kompliz_innen gefällt. Das kapitalisische System und ihre Akteur_innen schaffen sich ihre Krisen und lukrieren daraus Gewinne. Bezahlt wird vom Staat, letztlich von den Steuerzahler_innen.
Demnächst in diesem Theater: Als die Banken fielen – über Depositenbank, Steirerbank, Industrie- und Handelsbank, Niederösterreichische Bauernbank, Centralbank, Bodencreditanstalt, Creditanstalt bis zum Schwarzen Freitag.